Reisebericht Italien: Vertiefung statt Desintegration

Vigoni-Forum in Loveno di Menaggio

Am 3. und 4. Juli 2015 nahm ich an einem Roundtable-Gespräch im Rahmen des Vigoni-Forum des Deutsch-Italienischen Zentrums für Europäische Exzellenz auf Einladung von Prof. Dr. Immacolata Amodeo, Prof. Dr. Fulvio Longato (Triest), Prof. Dr. Hans Vorländer (Dresden) und Dr. Norbert Röttgen, MdB im Namen der Veranstalter teil.

Die Sommerkonferenz stand unter dem Titel „ Jenseits der Krise: Visionen für Europa. Ein deutsch-italienisches Gespräch“ und beschäftigte sich mit der langfristigen Perspektive der Vertiefung der Europäischen Union.

Ich habe bei dem deutsch-italienischen Expertenkreis gerade angesichts der schwierigen Situation, in der sich die Europäische Union befindet, für eine konsequente weitere Vertiefung Europas plädiert.

Die Voraussetzungen dafür sind im Moment sehr schwierig, die Notwendigkeit aber umso größer. Das Treffen fand kurz vor dem griechischen Referendum über die Bedingungen der Troika zur Gewährung weiterer Hilfen statt.

Im Folgenden ist mein Input-Statement dokumentiert:

Zum ersten Mal droht Europa zu schrumpfen statt zu wachsen. Die Politik der Austerität ist gescheitert. Durch Sparpolitik wird nicht gespart. Im Gegenteil: Die Schulden Griechenlands sind weiter gestiegen (aktuell 180,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, 2009 waren es 112 Prozent)

Mit Ausgabenkürzungen kommt man nicht aus der Wirtschaftskrise. Das zeigt das Beispiel USA. Sie sind besser aus der Finanzkrise herausgekommen als die Eurozone.

  • Die USA haben das strukturelle Haushaltsdefizit doppelt so schnell abgebaut wie die Eurozone.
  • Das reale Inlandsprodukt stieg dort gegenüber 2009 um 10 Prozent; in der Eurozone war es nur plus 4 Prozent.
  • Und die Arbeitslosenquote ist in den USA nur halb so hoch wie in der Eurozone.

Das wurde nicht mit Sparen geschafft, sondern mit Investieren.

Die aktuelle Krise am Beispiel Griechenlands befördert aus meiner Sicht eine Renaissance des Nationalen.

Hierzu hat Deutschland erheblich beigetragen. Mit der forcierten Debatte um einen Grexit hat Deutschland zum ersten Mal auf einen Schritt zu mehr Desintegration in Europa gesetzt. Es ist das Verdienst Italiens und Frankreichs sowie der Kommission, dass dieser verhängnisvolle Ansatz gestoppt wurde.

Wenn Angela Merkel angesichts der Krise sagt „die Zukunft Europas steht nicht auf dem Spiel“, dann kann sie nur ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten meinen. Sollte es so kommen, ist die große Vision eines Europas bedroht. Das ist ein gefährliches Szenario. Schon jetzt sehen wir die Vorboten dieser Renaissance des Nationalen. Wenn wir keine gemeinsamen Antworten mehr finden auf unsere gemeinsamen Herausforderungen spielt das den nationalistischen Kräften in die Hände.

Europa war ein Vernunftprojekt bevor es eine Herzensangelegenheit wurde. Heute fehlt es der Europapolitik an beidem, an Vernunft und Herzblut. In den europäischen Hauptstädten wird EU-Bashing betrieben, um politisches Kapital zu schlagen. Dabei sägt man an dem Ast, auf dem wir sitzen. Denn aller europafeindlichen Parolen zum Trotz: wir brauchen einander. Eben nicht nur wirtschaftlich – sondern vor allem politisch.

Das zeigt sich, blicken wir über die Grenzen Europas hinaus.

  • Europa ist umgeben von einem Ring der Instabilität.
  • Von Libyen über Mali, die Zentralafrikanische Republik bis nach Somalia, vom Jemen bis nach Syrien und Irak zieht sich eine Kette von zerfallenden Staaten und Kriegen.
  • Direkt vor der Haustür Europas zeigt sich dies vor allem in der Ukraine, aber auch in wachsenden Flüchtlingsströmen vom Westbalkan.

Kein Land Europas kann allein mit diesen Herausforderungen fertig werden. Wir können sie nicht delegieren – auch nicht an die USA, deren Außenpolitik in den letzten Jahren den Status eines „imperial overstretch“ erreicht hat. Und die in der Ukraine sowie gegenüber Russland andere Interessen verfolgen als die Europäer.

Wir Europäer müssen uns auf uns selbst verlassen und mehr tun. Aber wir werden es anders tun müssen.

Die Europäische Union ist in der Lage, anders aufzutreten als die NATO. Sie ist eine Soft-Power-Macht. Sie führt heute schon eine wachsende Zahl ziviler und zivil-militärischer Missionen durch.

Die Risiken von heute erfordern Fähigkeiten aus einer Hand. Zivile und militärische Fähigkeiten müssen integriert zur Verfügung gestellt werden. Das kann weder die NATO, noch so große Mitgliedstaaten wie Deutschland oder Frankreich. Deshalb brauchen wir langfristig eine Europäische Armee.

Bis dahin ist es ein weiter Weg. Es gilt das Primat der Politik vor dem Militär. Erst kommt die europäische gemeinsame Sicherheitsstrategie, die vergemeinschaftete Außen- und Sicherheitspolitik, dann die europäische Armee. Dann wäre eine Europäische Armee ein Gewinn an Demokratie und Souveränität und ein Mehr an Frieden und Sicherheit. Sie wäre ein gemeinsames Projekt für ein Europa, das dringend wieder eine Vision braucht.

Die anschließende Debatte brachte vor allem folgende Punkte zu Tage:

  • Die offene Frage, wie der Zyklus aus Austerität und Investitions- und Wachstumsschwäche durchbrochen werden kann.
  • Die Frage ob nicht Deutschland mit Italien den Weg zu einer engeren Union – gerade im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik gehen sollte.
  • Die Frage, wie dem Anwachsen rechtspopulistischer, ausländerfeindlicher Bewegungen begegnet werden könnte.

 

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